Vom Krieg gegen die User: Wie kann “Adblocker-Traffic” wertvoll sein?

TLDR: Man ist so gewöhnt an absolutistischen Anspruch und verschleiernde Sprache von “Digital Advertising” dass Dinge, die unter bürgerrechtlichen Gesichtspunkten ausgewachsene Skandale sind, gar nicht mehr auffallen. Und dann kommt da so eine  Branchen-Notiz daher. Man liest, stutzt, und sieht wieder klarer. “Adblocker-Traffic ist wertvoll” sagt da jemand und meint etwas, das man auch digitalen Hausfriedensbruch nennen kann. Zeit für Regulierung.

In der Horizont fanden wir in diesem Monat ein neues Wort. Es geht um neue Möglichkeiten in den technischen Systemen für digitale Anzeigenwirtschaft, weithin, auch von uns, nur noch “AdTech” genannt. “Adblocker-Traffic” dagegen kannten wir noch nicht. Das müssen auch wir uns erst einmal erklären. Der Artikel half dabei schnell und anschaulich.

“Adblocker-Traffic” ist Zustellen von Werbung gegen den erklärten Willen der Nutzer

Es geht um einen Test. “Rund 40 Prozent … einer Nutzergruppe … hat Adblocker installiert. Im vergangenen Jahr haben …( ein Werbungtreibender mit einem Technologieanbieter)… trotzdem Werbung ausgespielt.”

Aha, es gibt also eine neue Waffe. Und wovon hier gesprochen wird, ist technischer Krieg gegen die Nutzer. Und die Waffe funktioniert nicht nur. Sie erzeugt auch auch noch wirtschaftlichen Nutzen, wird behauptet: “Die  Ergebnisse lagen … deutlich über denen von Standarddisplay-Kampagnen”… und… “die Kosten waren geringer, die Nutzer dafür qualitativ hochwertiger”.

Was hier indirekt über die Entwertung der Gattung Display gesagt wird: geschenkt. Der wichtigere Punkt ist die politische Einordnung der Kampagnenmethode- die Entwertung der privaten Entscheidung einen Adblocker zu installieren. Advertiser, Publisher und Technologieanbeiter setzen sich bewusst über das Recht auf Selbstbestimmung hinweg. Wollen wir das wirklich?

Dass dieses Vorgehen mehr als fragwürdig ist, sehen die “Werber” selbst auch, sonst würden sie sich nicht zu Rechtfertigungen genötigt sehen. Die hören sich dann bei einem Verantwortlichen eines grossen, ehemals meinungsbildenden Hamburger Verlagshauses dann so an:
“Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Klamotten”. Also: die Umstände sind schuld, ich trage keine Verantwortung. Eine Kampagne seines Hauses, die ähnliche Methoden anwendet, bringt es dann auf seinen Punkt: “Ihr habt Adblocker. Wir haben Adblocker-Blocker. Life is bitter”.

In gleicher Logik und Tonfall kann ein Einbrecher auch sagen: “Tja. Du hattest eine Tür. Ich hab einen Hammer. So ist nun mal das Leben.” Dumm nur, dass Einbruch bei uns verboten ist. Warum eigentlich? Mal in Hamburg nachfragen.

Überzeugungsarbeit ist tatsächlich notwendig – aber eine andere als Adtech meint.

“Die Anbieter, …müssen Überzeugungsarbeit bei Werbungtreibenden und Agenturen leisten”. So heisst es im Artikel und wir können das gut nachvollziehen. Wer will schon seine Marke mit Belästigung verkoppeln? Wer sein Unternehmen mit dem Brechen der Selbstbestimmung?

Uns stellen sich für die Zukunft drei Fragen:

1. “Welcher Werbungtreibende könnte rein theoretisch überhaupt “Wert schöpfen” auf diese Art?”

  • Antwort: nicht ein einziger, der wirklich WERBEN will. Dieses Geschäftsmodell ist nur anwenderbar auf VERKÄUFER, auf digitale Drückerkolonnen, um es zurückhaltend auszudrücken, oder, wie es Thomas Koch es einmal, noch zurückhaltender, nannte, auf Digital Marketing Vertriebeting. Was machen diese Vertriebler eigentlich, wenn sie “Adblocker entblocken”? Kann man es nicht auch “Türen aufbrechen” nennen?

2. Wo ist hier eigentlich ein tragfähiger Business-Case für irgend jemanden?

  • Antwort: Nirgends – nicht einmal für den Technologieanbieter.

3. Was muss eigentlich geschehen, damit der durch Adblocker-Installation explizit erklärte Wille der Nutzer respektiert wird? Was damit er durchsetzbar ist?

  • Antwort: Nach Lage der Dinge scheint die gesetzliche Regulierung der Anbieter die einzige Möglichkeit zu sein, den Nutzer-Willen gegen Wirtschaftsinteressen abzuwägen.

Regulierung von AdTech ist für alle gut – besonders für AdTech.

Auch wenn es schwerfällt zu denken, AdTech-Anbieter und “Programmatic Rockstars” sollten gesetzliche Regulierung vor allem als Chance betrachten. Denn die Zukunft ihres Marktes ist akut bedroht.

Facebook und Google haben in 2016 das KOMPLETTE US-Wachstum im Digital Advertising gekapert. Es ist tatsächlich so

Und in Deutschland? Ohne geänderte Rahmenbedingungen bleibt AdTech auch hierzulande nur der Wachstumspfad ins, sagen wir es höflich, halblegale “Dark Web”. Also: Modell Mazedonien. Vor diesem Hintergrund muss die AdTech-Branche ihre eigene Zukunft diskutieren.

Es spricht viel dafür, die Regulierung von AdTech und Plattformanbietern als letzten verbliebenen “Game Changer” für Digital Advertising zu betrachten. Normen und Regeln für Publisher, Carrier und Broker. Dass sie zuerst bei Facebook und Google greifen müssen und erst in zweiter Linie bei allen anderen AdTech-Anbietern, versteht sich von selbst.

Regulierung ist manchmal notwendig. Für AdTech und digitale Medienwirtschaft kann sie auch hilfreich sein.

Think about it.

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