Kein Geld für Hassmaschinen – Unilever tut das Richtige.

Im Gegensatz zu anderen Marken, die sich dem Werbeboykott #StopHateForProfit auf Facebook und Co angeschlossen haben, macht Unilever keine bestimmten Akteure, sondern eine technische Struktur für die Polarisierung verantwortlich, die Newsfeeds – auch den des Elitendarlings Twitter. So geht gesellschaftliche Verantwortung: #KeinGeldFürPolarisierung

Bis Ende des Jahres: 50 Mio Dollar fliessen nicht zu Facebook, Insta, Twitter sondern zu nicht polarisierenden Medien

Werbungtreibende, das wird viel zu selten thematisiert, tragen mit ihren Anzeigenbudgets eine herausragende Verantwortung für die Medienlandschaft und die politische Kultur der medialen Meinungsbildung in einer Gesellschaft. Mit jeder Anzeigenschaltung sichern sie das Funktionieren von Medien, letztlich der Presse- und Meinungsfreiheit. So tragen sie jeden Tag eine große Verantwortung für den Zustand der Gesellschaft, die ihr Absatzmarkt ist.

Wie man dieser sozialen Verantwortung gerecht werden kann, zeigte Unilever am Freitag letzter Woche. Die US-Tochter des englischen Werbegiganten hat entschieden, bis Ende des Jahres sämtliche Werbegelder aus den Hassmaschinen namens „Social Media“ abzuziehen. Grob geschätzte 50 Mio USD werden in den USA ausdrücklich nicht eingespart, sondern bewusst abgezogen und in „andere Medien“ investiert, die nicht polarisierend wirken.

Der Schritt richtet sich, laut Statement von Unilever, gegen alle Betreiber von „Social Media Newsfeed-Plattformen“. Damit gemeint ist, neben Facebook und Instagram, auch Twitter, Leitmedium der Medienschaffenden.

Der Schritt des Werbegiganten kann sich rückwirkend als Meilenstein erweisen – für die Erhaltung einer offenen, liberalen und pluralistischen Gesellschaft, die wegen fragmentierter Newsfeeds bedrohlich erodiert.

Warum macht Unilver das?

An dieser Stelle zunächst eine Richtigstellung: Nein, Unilever schließt sich ausdrücklich nicht der „Stop Hate for Profit“-Kampagne an, so wie z.B. seine Eiskrem-Marke „Ben & Jerry’s“. Wer die überraschend selten verlinkte Begründung liest (hier der Blogpost: https://ogy.de/bbv5), muss dieses Framing fallen lassen.  Im Text finden sich nicht einmal indirekte Bezüge zu dieser oder anderen Kampagnen. Es gibt auch keine direkten oder indirekten Bezugnahmen zu „Rassismus“, „Sexismus“, oder irgendwelchen anderen „-Ismen“, die man selbstredend ablehnt, sobald man sie benannt hat. Wer sucht, der findet im Statement auch keine Hinweise auf Meinungsäußerungen oder Inhalte, die verurteilt oder zurückgewiesen werden.

Stattdessen findet man Hinweise auf Unilevers eigene Verantwortlichkeit, das eigene Regelwerk und die eigenen Maßnahmen in einer „kulturell komplexen Landschaft“. Hier fasst sich jemand an die eigene Nase. Gut so!

Überschrieben ist Unilevers Begründung mit: „Die Unterstützung eines verantwortungsvollen digitalen Ökosystems in diesen polarisierten Zeiten“. Man gehe, schreibt Unilever, seit jeher voran in Sachen Verbesserung der „digitalen Lieferkette“ (gemeint ist das verfügbare Anzeigeninventar), seien es „viewability, measurement, ad fraud or brand safety“. Nun aber, in einer „polarisierten Atmosphäre“, sei es an der Zeit, die Plattformen auch in Sachen gesellschaftlicher Verantwortlichkeit in die Pflicht zu nehmen.

Es gebe „sehr viel mehr zu tun, besonders in Sachen Entzweiung und Hassrede während der polarisierten Zeit des Wahlkampfes“.

Entzweiung durch Newsfeeds

Entzweiung – was für ein treffendes Wort. Für das Zerlegen und Zerstreiten der Gesellschaft macht Unilever bemerkenswerterweise keine bestimmten Akteure oder Meinungen verantwortlich, sondern eine technische Struktur, eine bestimmte Medien-Plattform: „Social Media Newsfeeds“.

Newsfeeds sind der einzige Gegner, den Unilever in seinem Statement namentlich nennt.  Und Newsfeeds auf Facebook, Insta und Twitter sollen fortan, bis „mindestens Ende des Jahres“, nicht mehr durch Unilever-Werbegelder finanziert werden. Denn Anzeigen auf polarisierenden Plattformen wie Twitter würden „keinen Wert für Menschen und Gesellschaft schaffen.“

„Kein Wert für Menschen und Gesellschaft“ – mit dieser Kritik sind nicht nur die anderen, die „Bösen“ (Nazis etc)  gemeint, die eine Plattform „missbrauchen“. Gemeint sind auch die „Guten“. Denn sie sind auf derselben Plattform unterwegs, wie ihre Gegner. Und sie verhalten sich strukturell genauso, wie ihre Gegner. Etwas anderes lassen die polarisierenden Plattform-Mechanismen auch gar nicht zu.

So funktionieren Newsfeeds

Man kennt sich, vernetzt und bestätigt sich; man teilt Freunde Inhalte und Meinungen; man bestätigt sich dauernd, solidarisiert sich schulterklopfend und „engaged“ sich für alles Mögliche, aber nicht für Andersdenkende und Abweichende; man bildet Identität in kleinen Gruppen; man macht dauernd aufmerksam auf den „Hass“ von anderen; man schließt die Reihen und fühlt sich im Kampf verhält; man verhält sich exakt so, als wäre man von aussen bedroht. Und dann beginnen manche, die Bedrohung da draußen zu suchen… Feindschaft.

Polarisierung hat technische Gründe

Es ist die Funktionsweise, die „Social“ zu Hassmaschinen macht, es sind nicht die Inhalte. Wer in Newsfeed-Medien Werbung bucht, finanziert das Transportieren, Gruppieren und Bevorzugen von Informationen durch technisch eingeschriebene Vor-Urteile (algorithmische Regeln vor der Content-Distribution). Diese Regeln orientieren sich nicht an Vielfalt und Pluralität, sondern an „Engagement“ und ähnlichen Nutzermerkmalen (Profile, Graphen). Das Ergebnis ist totale Konformität, jeweils ganz unterschiedlich, in atomisierten, nicht verbundenen Kleinstgruppen, die sich nie mehr begegnen. So kommt Meinungsverschiedenheit erst aus der Übung, dann wird sie verlernt, schließlich ist alles Andersdenken einfach nur noch „empörend“.

Hat man je eine klarere Bestätigung gesehen für McLuhans Diktum „The Medium is the Message“?  Newsfeeds geben vor, „Social“ zu sein, mit ihren Mechanismen aber säen sie, völlig unabhängig von den Inhalten, eine Zwietracht, die geradezu pandemisch ist.

Fazit:

  1. Eine Gesellschaft, die Freiheit will, braucht Vielfalt und Medien, die nicht polarisieren.
  2. Es geht um die destruktiven Mechanismen der Newsfeeds und eben nicht um missliebige Inhalte
  3. Der Stopp der Werbe-Finanzierung dieser ausschließlich von Werbungtreibenden bezahlten Mechanismen ist genau das Richtige
  4. Werbungtreibende sollten auch hierzulande aufhören, zu finanzieren, was unserer Gesellschaft schadet.
  5. Danke, Unilever. Und hallo OWM: #KeinGeldFürPolarisierung.